Die Demokratie in der Europäischen Union muss weiter wachsen

„Die demokratische Legitimation des Handelns der Europäischen Union erweist sich immer deutlicher als die Schicksalsfrage der europäischen Integration.“ Mit diesem Satz begann Professor Sven Simon, Lehrstuhlinhaber für Europarecht in Marburg und Stellv. Landesvorsitzender der Europa-Union Hessen seinen Vortrag zum Thema „Europa und die Demokratie“ in der Stadthalle Kronberg. Eine größere Zuhörerschar lauschte auf Einladung der Europa-Union sehr konzentriert seinen Ausführungen, die im Kern darum gingen, die auf die europäische Ebene übertragene Regelungskompetenz so zu gestalten, dass das demokratische Prinzip keinen Schaden nimmt, wie er in seinem Vortrag mehrfach betonte.

Prof. Sven Simon

Schwierig dabei sei es, dass die Staaten sich stark untereinander in Bezug auf das Demokratieprinzip unterschieden, was auch für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelte. In Deutschland regele das Artikel 20 des Grundgesetzes.

Dazu gehörten zwei Dinge, so Simon, erstens „die Rückführung allen staatlichen Handelns auf das Volk“ und zweitens die Festlegung, dass Deutschland eine repräsentative Demokratie sei. Drei wesentliche Urteile des Bundesverfassungsgerichts in Hinsicht auf deutsches Handeln auf europäischer Ebene machen deutlich, wie dem Grundgesetz damit Genüge getan wird.

Die wichtigste Entscheidung in Sachen Demokratieprinzip enthält ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Eurorettung im Jahr 2012. Hier ging es um die Budgethoheit des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung hatte über den Kopf des deutschen Parlaments in seiner Gänze hinweg mit einer Art geheimen Zirkels von Bundestagsabgeordneten eine Entscheidung zum Euro-Rettungsschirm und dem europäischen Fiskalpakt getroffen. Das Bundesverfassungsgerichtet untersagte diese Vorgehensweise, denn der Bundestag darf nicht durch „haushaltspolitische Ermächtigungen“ seine Verantwortung auf andere übertragen.

Die wesentliche Wurzel des europäischen Demokratiedefizits bestünde nach Meinung von Professor Simon vor allem in zwei Institutionen, nämlich der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Exekutive und Judikative hätten sich sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in der EU von der Legislative abgekoppelt und verselbständigt. Sie träfen Entscheidungen von großem politischem Gewicht in einem unpolitischen Modus und seien dabei immun gegen politische Wünsche zur Veränderung ihrer Praxis. Dies hänge damit zusammen, dass Veränderungen der EU-Verträge quasi wie Verfassungsänderungen behandelt werden müssten.

Allerdings ist sich Simon sicher, dass das nicht bestreitbare Demokratiedefizit weniger im Institutionellen begründet sei, sondern in den gesellschaftlichen Voraussetzungen der Demokratie seine Wurzel hat. Er machte einige Verbesserungsvorschläge, die auch bei der späteren ausführlichen Diskussion mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen eine Rolle spielten. Seine Leitfrage lautete: Wie überzeugen wir die Menschen, dass die Europäische Union die einzig realistische Größe ist, um den globalen Herausforderungen zu begegnen. Seine Ideen dazu beinhalteten u.a. die Kommunikation zur EU, die – sobald nur das Wort Brüssel fällt – sofort negativ bewertet wird. Die Frage nach den Kompetenzen der EU müsse dringend gestellt und diskutiert werden, damit die heutigen Herausforderungen gemeistert werden können. Dazu zählte er den Binnenmarkt, der verändert werden muss, um die südeuropäischen Staaten nicht mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit allein zu lassen. Es braucht eine europäische Öffentlichkeit, um den Zusammenhalt zu fördern und den für die Demokratie notwendigen politischen Diskurs zu ermöglichen. Das EU-Parlament als ein Arbeitsparlament wird in seiner Vermittlungsrolle und Rückbindung an den Wählerwillen nicht wahrgenommen, so sein Appell an die politischen Verantwortungsträger. Außerdem schlägt er vor, über eine größere Beteiligung nationaler und vielleicht sogar regionaler Parlamente im europäischen Gesetzgebungsprozess nachzudenken. Das wäre ein Mittel, um die demokratische Legitimation und Akzeptanz zu erhöhen.